Sollte man Konflikte besser vermeiden?

Gestern erzählte mir ein Freund, dass sich in einer Schlange eine Frau in voller Absicht an ihm vorbeigedrängelt hatte, um als erste an der Kasse zu sein. Er war sprachlos gewesen und hatte sich im Nachhinein überlegt, ob er nicht etwas hätte sagen sollen. „Aber“, so meinte er „was hätte das gebracht? Du regst Dich auf, die Situation eskaliert vielleicht und hinterher brauchst Du eine halbe Stunde, um wieder runter zu kommen.“  

Mein Freund hatte damit intuitiv das geschildert, was man sich in Konflikten immer wieder überlegen sollte: wie wichtig ist es, dass der Konflikt gelöst wird? In obigem Beispiel war es nämlich in der Tat absolut unwichtig. Er kannte die Person nicht, die offensichtlich keine gute Kinderstube genossen hatte und würde sie nie wiedersehen. Es gab also keine Beziehung zu dem Menschen, ausser im Moment des Konflikts. Und die Sache an sich? Ebenfalls unwichtig. Es ging um nichts, ausser ein paar Minuten, und um die persönliche Ehre. 

Natürlich muss man sich nicht alles gefallen lassen. Doch jeder Konflikt, sei er noch so klein und unwichtig, löst körperliche Reaktionen aus. Wenn wir zurückgeben, befinden wir uns im Angriffsmodus. Dafür benötigen wir Adrenalin und Cortisol, und das muss hinterher erst wieder abgebaut werden. Sie sind zwar physisch schon lange nicht mehr im Supermarkt, geistig aber immer noch. Man muss sich nicht alles gefallen lassen, aber man muss auch nicht immer zurückgeben.

Die Strategie, dem Konflikt auszuweichen, sollte jedoch wirklich nur zum Einsatz kommen, wenn einem nicht nur der Konfliktgegenstand als solcher unwichtig ist, sondern auch die Beziehung zum Gegenüber. Ansonsten ist es eine mangelnde Wertschätzung der Bedürfnisse der anderen Seite, was nicht ohne Konsequenzen bleibt. Angenommen, Sie möchten mit ihrem Partner über eine Angelegenheit sprechen, in der Sie beide unterschiedlicher Meinung sind. Und dieser sagt: „Darüber möchte ich nicht reden“. Damit lässt er Sie buchstäblich im Regen stehen und respektiert nicht ihre Bedürfnisse, den Konflikt aus der Welt zu schaffen. Sie werden sich zusätzlich über sein Verhalten ärgern, was den Konflikt verschärft.

Gerade die digitale Kommunikation führt zur Konfliktvermeidung. Man wartet erst mal ab und kommuniziert, wenn überhaupt, verschwommen und allgemein. Andreas Barthelemss (Mitglied des Club of Rome Deutschland) schreibt hierzu in der Neuen Zürcher Zeitung, dass „Konfliktvermeidung soziale Inkompetenz“ sei. Sobald Sache und / oder Beziehung wichtig sind, pflichte ich ihm bei. Schwammige, undeutliche, späte oder überhaupt nicht erfolgende Reaktionen zeugen von fehlendem Respekt. Den lesenswerten Artikel, der beleuchtet, wie sich diese Haltung auf die Politik auswirkt, finden Sie übrigens hierhttps://www.nzz.ch/meinung/konflikte-suchen-ist-sozial-ld.1358961

 

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